In tiefer Dankbarkeit für Ihr Lebenswerk und ihr unermüdliches ehrenamtliches Engagement für Afghanistan und den Afghanischen Frauenverein.
Am 20. April 2023 verstarb viel zu früh, und in der Mitte ihres Lebens, unsere Gründerin und ehrenamtliche Vorsitzende Nadia Nashir Karim. Gemeinsam mit 12 afghanischen Mitstreiterinnen, fünf Mark in der Tasche und jeder Menge Ideen gründete sie am 23. August 1992 in Bonn den Afghanischen Frauenverein e.V.
Alle zwölf Gründerinnen sind Afghaninnen im deutschen Exil. Kennengelernt haben sie sich bei einem Seminar der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, der heutigen GIZ. Mit Schrecken haben sie den Krieg, die sowjetische Besatzung Afghanistans aus der Ferne erlebt. Flucht, Vertreibung, Enteignung… kaum eine Familie in Afghanistan war damals nicht betroffen. Nach dem Abzug der Sowjets 1989 spitzte sich die humanitäre Lage im Land dramatisch zu. „Doch die Welt hatte damals andere Sorgen, kaum jemand schaute auf Afghanistan. Wir mussten etwas tun“, erzählte Nadia Nashir Karim später über die Vereinsgründung.
Unter der ehrenamtlichen Leitung von Nadia Nashir Karim begann der Verein mit viel Idealismus und Herzblut den Aufbau der Hilfsprojekte
Kuchen backen, Nähen, Flohmärkte, Passanten mit Spendendosen ansprechen – nichts war zu aufwendig, um ein erstes Projekt zu finanzieren. Dieses startete wenig später an der pakistanisch-afghanischen Grenze. Über vier Million Afghan:innen lebten dort in riesigen Camps unter schwierigsten Bedingungen. 1993 eröffnete der Afghanische Frauenverein in Peshawar seine erste Mädchenschule. Bald folgten hier eine Lehrschneiderei und medizinische Versorgung. Nach Afghanistan reisten die Vereinsmitglieder mit Nadia Nashir erstmals 1993. Das erste Projekte dort wurden eine Mädchenschule für 3.000 Schülerinnen in Jalalabad in Nangarhar. Eine Lehrschneiderei entstand wenig später in Herat im Westen und eine Mutter-Kind-Klinik in Andkhoi im Norden des Landes. Im April 1999 gelang es dem Afghanischen Frauenverein, inmitten der ersten Taliban-Herrschaft, die Roschani-Mädchenschule in Ghazni zu gründen. Sie begann mit 20 Mädchen der Dorfältesten, heute lernen dort über 600 Schülerinnen.
Unermüdlich, oft Tag und Nacht stand Nadia mit den inzwischen über 200 Projektmitarbeiterinnen und Mitarbeitern in täglichem Kontakt. Sie kannte jede und jeden persönlich, jede Lehrerin, jede Schneiderin und oft auch die Schülerinnen und Schüler der vereinseigenen Schulen. Ihr Engagement für Afghanistan und für die notleidende Bevölkerung vor Ort kannte keine Grenzen und hat bis heute das Leben von Hundertausenden Mädchen und Frauen verändert.
Ein Leben für Afghanistan: Nadia Nashir Karim
Geboren wurde Nadia Nashir Karim am 4. September 1955 in Kabul, Afghanistan, und wuchs in Kunduz auf. Sie studierte zwei Semester Germanistik an der Universität Kabul und ab 1975 Medienwissenschaften an der Universität Osnabrück. 1975 heiratete sie und bekam zwei Söhne, die in Deutschland aufgewachsen sind.
Als überregionale Frauenbeauftragte arbeitete sie zunächst für ein Projekt bei der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, der heutigen GIZ. Parallel war sie freiberufliche Journalistin im Hörfunk, Dolmetscherin und Übersetzerin.
1992 gründete Nadia Nashir Karim den Afghanischen Frauenverein, den sie als erste Vorsitzende 30 Jahre lang aufbaute und prägte. Aus einer Idee und privaten Initiative ließ sie mit unermüdlichem Einsatz eine Hilfsorganisation entstehen, die heute mit über 200 lokalen Mitarbeiter:innen in Afghanistan über 200.000 Menschen pro Jahr erreicht.
In Afghanistan schrieb Nadia Nashir Karim mit ihrem Mut Geschichte. In Deutschland schuf sie wie keine andere eine Brücke des Verständnis, der Toleranz und Mitmenschlichkeit zur afghanischen Bevölkerung.
Für dieses ehrenamtliche Engagament erhielt sie den Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Nadia Nashir Karim wurde mit dem Elisabeth-Siegel-Preis der Stadt Osnabrück ausgezeichnet und erhielt 2021 die Auszeichnung „Hamburger des Jahres 2021“ in der Kategorie Fairness und Courage.
Nadia Nashir ist uns Vorbild und Leitbild. In Ihrem Gedenken und Sinne arbeiten wir weiter.