Afghanistan: Ihre Erdbebenhilfe kommt an

Lebensmittelverteilung in Injil bei Herat erreicht 4.800 Menschen aus sechs komplett zerstörten Dörfern. Die Familien erhalten Mehl, Reis, Bohnen, Speiseöl, Tee, Salz und Zucker für zehn bis zwölf Wochen. Ein Bericht von Christina Ihle.

Herat, 16. November 2023. Die Kinder und Dorfältesten laufen uns winkend entgegen, als wir begleitet mit Lastwagen durch die Trümmer zur Dorfmitte fahren. 84 Familien sind in dem kleinen Dorf Shorabagh in Injil zuhause. 84 Familien haben dort alles verloren, was sie sich aufgebaut haben. Ausnahmslos jedes Haus ist zerstört, die Brunnen sind verschüttet. Ein eisig kalter Wind weht, dabei ist es erst 16:00 Uhr.

Voller Würde werden wir als Gäste empfangen

„Ihr wart die ersten, die uns nach dem großen Beben Hilfe brachten, nun kommt ihr wieder. Bleibt und trinkt Tee mit uns“, Hakim, der Dorfvorsitzende lädt uns in sein Familienzelt. Die schwarze Jurte ist nicht zum Wohnen gemacht. Im Winter dient sie eigentlich den Schafen als Schutz vor Schnee und Kälte. Nun leben hier vier Familien, 22 Menschen, auf engstem Raum. Auf dem Feuer kocht Wasser, es ist kalt und rauchig. Mursal zeigt auf den Stapel an Decken in der Ecke. Kinder eingemummelt in Winterjacken stolpern ins Zelt. „Die habt ihr uns gebracht“, sagt sie und legt ihre Hand dankend aufs Herz. Neben Kochtopf, Tassen, Teppich und sechs Schafen ist unsere letzte Hilfslieferung vom 18. Oktober zum wenigen Hab und Gut der Familien geworden. Tee gibt es nicht, aber heißes Wasser, das uns mit überbordender Herzlichkeit gereicht wird.

Die Lehmziegel zerbröseln, neue können erst nach dem Winter entstehen

Draußen beginnt unser Team, den Verteilplatz vorzubereiten. Mit Kalk wird dieser in 600 Quadrate eingeteilt. Jeder registrierten Familie soll am nächsten Morgen eines der Quadrate mit Hilfsgütern zugeteilt werden. Trucks werden entladen und für die Nacht gesichert. Hakim führt uns durchs Dorf. Begleitet von einer Kinderschar laufen wir durch die Trümmer. Ein Familienvater sucht nach brauchbaren Lehmziegeln in den Trümmern. „Sie zerfallen mir in der Hand“, sagt er resigniert, „doch es hilft ja nicht. Wir müssen einen Unterstand für unsere Tiere bauen. Wir leben in ihren Zelten. Wenn jetzt der Schnee kommt, brauchen auch sie Schutz.“

Die meisten Zelte halten Wind und Kälte nicht stand

Neben den Trümmern stehen Zelte unterschiedlichster Bauart. Nur zehn von ihnen sind winterfest und wurden vom chinesischen Roten Kreuz gebracht. Familien mit Neugeborenen sollen sie nutzten, entschied der Ältestenrat. Andere Hilfsorganisationen brachten einmal fünf, einmal vierzig Zelte, leider nie so viele, dass es für alle im Dorf reichen kann. Auch seien die meisten Zelte dünn und viele nach dem ersten Sturm zerrissen, erzählt Hakim. Eindringlich bittet er, ob wir mit guten Winterzelten helfen können? Wir treffen die dreizehnjährige Fatema. Ihre Familie lebt noch unter freiem Himmel, Mutter und der Bruder sind krank.

Über 580 Familien warten still

Als wir früh am Morgen zum Verteilplatz kommen, sind bereits alle registrierten Familien dort. Fahrräder, Esel, Schubkarren stehen zum Transport bereit. Jede Familie zeigt ihren Berechtigungsschein, wird registriert und bestätigt mit Fingerprint ihr Erscheinen. Danach wird sie zu ihrem Hilfsgüterquadrat geführt, nahezu andächtig setzen sich alle zu ihren Säcken mit Mehl, Reis, Bohnen, Speiseöl, Tee, Zucker und Salz. Es ist erstaunlich still, nur die Esel und Kinder sind zu hören. „Wir kommen aus dem Dorf hinter diesem Berg, erzählt uns Wahida und zeigt uns ihr Neugeborenes unter dem Umhang. Was Ihr uns bringt, wir uns zwei bis drei Monate ernähren. In den letzten Tagen hatten wir nur Wasser und ein Stück eingeweichtes Brot. Gott segne Euer großes Herz.“ Wahidas größte Sorge ist der jetzt einsetzende Winter. „Die Nächte sind kalt“ erzählt sie. „Ich habe Sorge, dass ich mein Kind in unserem Zelt bald nicht mehr genug wären kann.“

„Unsere Gebete sind mit Euch“

Nach knapp drei Stunden sind alle Hilfsgüter zugewiesen. Fünf registrierte Familien sind nicht erschienen. Wir werden ihnen die Lebensmittel später bringen. Fatema sitzt allein vor ihren Säcken. Ihr Vater ist mit der Mutter und dem Bruder beim Arzt. Wer wird die Säcke jetzt transportieren? „Ich“, sagt Fatema beherzt, und wir sind erleichtert, als ein Nachbar einspringt.

Wir werden von Hakim gebeten, eine Ansprache zu halten, seinem Dorf zu erzählen, wer diese Hilfe bringt. Wir machen es kurz. Keiner soll mehr unnötig warten. Dann werden Schubkarren, Esel, Rücken und einzelnen Wagen beladen. Immer wieder werden uns Hände zum Dank gereicht und die Rufe „Unsere Gebete sind mit Euch“ begleiten uns bis zuletzt.

Nicht wir, diese großherzigen Menschen in Injil brauchen Gebete und dringend weitere Hilfe bei dem jetzt einsetzenden Winter.

Wir machen weiter

Zurück in Herat recherchieren wir nach winterfesten Planen und Zelten. Sie sind teuer und in Afghanistan selbst nicht erhältlich. Ein Gutes für bis zu acht Personen kostet 300 Dollar. Doch wir wollen alles dafür tun, diesen Familien beim jetzt einsetzenden Winter zu helfen. Wir danken allen von Herzen, die uns bei diesem Kraftakt unterstützen!

Jetzt spenden!

Tausend Dank an all jene, die diese Hilfsgüterverteilung möglich gemacht haben. Vielen der Familien sichert sie in den kommenden Wochen das Überleben.